Die erogenste Zone des Cellos: Widerstand suchen – Reibung genießen!

Ich wünsche dir ein herrliches neues Jahr und Freude mit dir selbst und deinem Instrument! Schön, dass du hier bist.

Das Thema Kontaktstelle („Klangstelle“ – im Englischen) beschäftigt mich schon lange. Wo Saite und Bogenhaar sich treffen, kanalisiert sich alles, was wir an Material, Technik, Kraft und Durchlässigkeit zu bieten haben. Hier entsteht und spielt die Musik!

Ist dadurch die Kontaktstelle nicht die erogenste Zone des Cellos?

Aber dazu später mehr. Zunächst eine Anekdote:

Nach dem Weihnachtsgottesdienst stand der Priester am Ausgang, reichte allen Besuchern die Hand und wünschte ein gesegnetes Weihnachtsfest. Eine schöne Geste! Ich erwiderte den Handschlag gern. Allerdings fühlte sich die mir entgegengestreckte Hand für mich an wie ein mit Wackelpudding gefüllter Gummihandschuh. Intuitiv fasste ich nach. („Da müssen doch irgendwo Knochen in der Hand sein…?“)

So wurde aus dieser kleinen Begegnung ein peinlicher Moment.

Kontakt braucht Widerstand.

Widerstand heißt, dass ein Objekt dem Versuch es in Bewegung zu versetzen eine Kraft entgegensetzt. Und wir brauchen diese Gegenkraft, um Kontakt aufnehmen zu können. Die Hand des Monsignore bewegte sich zwar auf mich zu, setzte mir dann aber keinen Widerstand mehr entgegen. So lief ich „ins Leere“.

Ohne Widerstand kein Kontakt. Ohne Kontakt kein Klang. Schade.

Deswegen nehmen wir ja auch Kolophonium – nicht Öl – als „Gleitmittel“. Wir brauchen den Widerstand, die Substanz. Wir brauchen etwas, das erst „nein“ sagt, bevor es zustimmt Reibung und Schwingung zu erzeugen. Beim Tango wird der Tanz erst spannend, wenn die folgende Person minimal zeitverzögert reagiert. Gelingt diese positiv zähe Elastizität, brennt zwischen den Tanzpartnern die Luft.

Widerstand heißt nicht Konflikt oder Kampf.

Er ist einfach nur eine Kraft, die mir entgegenwirkt, die mir Resonanz auf meine Aktion gibt. Ist es nicht herrlich, wenn ein Handschlag gelingt, hinter dem zwei ganze Personen stehen? Wenn zwei Menschen sich einander begegnen: nicht zurückzucken, aber auch nicht „zudrücken“? Entsteht in diesen Momenten nicht manchmal eine erstaunliche Intimität und Nähe? Was wäre, wenn wir Widerstand und Reibung positiv begrüßen, vielleicht sogar wünschen, anstatt sie negativ zu bewerten?

Und auch sonst ist Reibung an der richtigen Stelle herrlich, oder?

Was hat das mit Klangerzeugung zu tun?

Naja – salopp gesagt, machst du es dir beim Cello spielen selbst. Du bist verantwortlich für beide Seiten der Kontaktstelle.

Beim Cello-Spielen bist du verantwortlich für beide Seiten der Kontaktstelle.

Um die Bogentechnik kümmern wir uns in epischer Breite, aber wie steht es mit der anderen Seite? Die Fertigkeiten Deiner Bogenhand können ihren Zauber erst dann voll entfalten, wenn die Saiten einen guten Gegenkontakt bieten. Und diesen Gegenkontakt stellt der ganze Körper (Bein und Torso) her. Diesem genauso entscheidenden Teil sollte dieselbe Sorgfalt und Aufmerksamkeit geschenkt werden, wie der Bogentechnik.

Warum? Über 80 % aller Cellist*innen mit denen ich gearbeitet habe (mittlerweile über 300) ziehen im entscheidenden Moment das Cello unterm Bogen weg. Warum? Weil das Ausholen mit dem Bogenarm in Kombination mit einem nach hinten gekippten Becken den Brustbereich kollabieren lässt. Da liegt aber das Cello drauf. Wie beim Handschlag mit dem Monsignore versucht der Bogenarm nachzufassen.

Die Folgen: Rückenschmerzen (denn wir versuchen intuitiv die Stabilität wieder herzustellen) und ein müder Bogenarm (der statt satt zu landen, den Kontakt suchen muss).

Umgekehrt hat bei fast allen ein größere Stabilität von Cello-Seite aus zu besserem, satterem, kontrollierterem Klang geführt.

Du willst, dass dein Spiel brandheiß, spannend und aufregend ist? Kümmer dich um die andere Seite!

Wie?

  1. Beobachten!
    Nimm dich im Profil beim Üben auf, und beobachte, wohin dein Körper und Cello sich bewegen, besonders in hohen Lagen oder bei kräftigen Einsätzen. Freu dich über alles, was du merkst.
  2. Ausprobieren!
    Spiel lange Töne auf leeren Saiten. Lass dann das Becken langsam nach hinten sinken bzw. nach vorne kippen, OHNE dass du mit dem Arm den Bogenkontakt korrigierst? Was passiert mit dem Klang? Wenn Du nichts merkst, nimm dich auf Video auf!Achtung: Dies ist keine Anweisung zum „Beckenschaukeln“!!! Es ist eine Wahrnehmungsübung damit du merkst, welchen Einfluss du über den Körper auf den Klang nehmen kannst.
  3. Fokus auf „Gegenkontakt“
    Fass dich selber an! Leg z.B. eine Hand auf dein Bein und spüre es mit der Hand. Dann spüre mit dem Bein deine Hand! Was ist leichter? Was passiert, wenn du beides gleichzeitig spüren willst?Wenn du die Beine überschlagen hast, mach dasselbe Spiel. Oder leg die Handflächen aneinander. Oder, oder, oder… Finde unendliche Spielmöglichkeiten mit den zwei Seiten des Kontakts.
  4. Ändere deine Perspektive!
    Spüre den Kontakt zu deinem Bogen durch das Cello. Als würde das Cello den Bogen spielen und nicht umgekehrt. Was suchst du in diesem Kontakt? Einen satten Handschlag, zartes Streicheln oder heißen Sex? Vergiss nicht: „It takes two to tango!“Was immer es ist: wie beim gelungenen Handschlag kann eine große Intimität entstehen, wenn beide Partner einer Berührung sich ganz in diese Hineingeben.

Oft wünschen wir uns Kontakt, aber wenn er dann da ist zucken, wir zurück. Kontinuierlich immer wieder den Kontakt neu einzugehen und dranzubleiben braucht manchmal mehr Mut als wir denken. Jedenfalls geht es mir so. Dir auch?

Auch ich freue mich natürlich über Resonanz – z.B. in Form deines Kommentars oder deiner Newsletter-Anmeldung. Dafür bekommst du dann weiterhin Tipps und Ideen für besseren Klang mit weniger Anstrengung. Auch Reibung und Widerstand sind wärmstens willkommen, aber nicht Bedingung!

Und jetzt viel Freude beim sinnlichen Spielen!

5 Comments

  1. Bravo und Danke für diesen Artikel! Hut ab!
    Die Gedanken darin sind sehr anregend, im besten Sinn. Und der Prozess in mir, deine Worte mit meinen bisherigen Erfahrungen und Gedanken zusammen zu bringen, ist wiederum eine Metapher auf Kontakt, Reibung und Austausch. Sehr sexy 🙂
    Spannend ist für mich, im Geist das Prinzip des Widerstands (eine Aktion im Austausch) mit der inneren Durchlässigkeit des Tai chi zu verknüpfen (also unbewussten/nutzlosen inneren Widerstand weglassen). Oder anders gesagt, die bewusste Entscheidung zu treffen, wo in/um mir Widerstand angebracht ist und wo nicht.
    Liebe Grüße und auf bald, Uli

  2. Spannend und interessant. Ich finde es toll, dass du einen so kritisch-wichtigen Punkt herausgreifst und näher beschreibst. Hüfte und Hüftgelenke sind ein Thema, dass die meisten Menschen IHR LEBEN LANG begleitet. Es ist wert- und sinnvoll sich damit zu beschäftigen!
    I am thrilled about you focussing on this critical point of music making and living in general. Hips and good use of hip joints is a topic for most people. Healthy hips resulting from good use, will let us live healthier for longer. My Yoga students play with this issue every class. And they are learning….

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