Kein Stress für Streicher – 4 Tipps

 

Wenn Streicher irgendetwas gar nicht brauchen können, dann ist das Stress.

Regine Brunke

Am Samstag war ich in einem zauberhaften Konzert der „Bremer Hausmusikwoche“. Und es hatte Wirkung auf mich – den ganzen Tag hindurch – so dass ich meine Gedanken mit dir teilen möchte.

Gitarrenschüler, Hobby-Cellistinnen und ihre Lehrer präsentierten ihre Musik, ihre Leidenschaft, die Ergebnisse ihres Unterrichts. Aber gleichzeitig präsentierten sie noch so viel mehr: Ihren Stolz und ihre Scham, ihre Nervosität und ihre Selbstsicherheit.

Wer auf der Bühne ist, wird sichtbar.

Und darin liegt eine große Ambivalenz – denn was möchte ich denn von mir zeigen? Und was lieber nicht? Es geht immer der ganze Mensch auf die Bühne – die ganze Geschichte, alle Erfahrungen. Alle müssen mit. Der Versuch, etwas davon auszublenden oder verbergen zu wollen (die zitternde Bogenhand), fügt der ohnehin schon vorhandenen Anspannung noch eine zusätzliche dazu: den Anspruch, anders zu sein, als ich gerade bin.

Auf einmal wird spürbar, wie wenig Kontrolle ich habe: über den Moment, meine Körperfunktionen, darüber, was andere über mich denken. Und auch mein Selbstbild funktioniert nicht mehr. Ich dachte, ich bin so selbstsicher. Ich dachte, das macht mir nichts aus.

Ich dachte,…

Selbstbegegnung.

Amateurstreicher-Vorspiele können ganz schön schrecklich klingen – wenn man die gängigen, durch akustisch perfekte Musikaufnahmen geprägten Maßstäbe ansetzt. Gute Intonation unter Anspannung ist eben einfach verdammt schwer.

Manchmal finde ich es schwierig, im Publikum Zeugin dieser Bemühungen zu sein. Ich schwitze mit und manchmal kommt es auch zum Phänomen des „Fremdschämens“. In diesem Konzert aber konnte ich mich im Publikum herrlich entspannen.

Auch in diesem Konzert gab es „Fehler“ und „Aussetzer“, sowohl bei den Gitarristen als auch bei den Cellistinnen. Aber die Musik hat darunter nicht gelitten. Die Intonation der 11-köpfigen Cellogruppe war richtig klasse (größtenteils Erwachsene, die auch als Erwachsene mit dem Cellospiel begonnen haben). Es lag eine freundliche Ernsthaftigkeit in der Luft, die noch immer in mir nachklingt.

Was war hier – bei diesem kleinen Konzert – so besonders?

Mein Eindruck ist, dass die beiden Lehrer – abgesehen von anscheinend gutem Unterricht – einen wunderbar entspannten Rahmen geschaffen haben (was sicherlich mit viel Arbeit und Umsicht verbunden war).

Hier ein paar der herzerwärmenden Momente:

  • Die Gitarristen saßen in 5er-Gruppen im Halbkreis auf der Bühne, spielten ein Stück zusammen, dann jeder ein Stück allein, dann wieder alle gemeinsam. Es musste also nie jemand ganz allein auf der Bühne sein. Die Unterstützung, Solidarität, Konzentration und der Rückhalt der anderen war mit Händen zu greifen. Hier zitterten auch Finger, aber nie entstand das Gefühl des „Bloßgestellt“- Seins.
  • Die Lehrer, die auch durch das Programm führten, strahlten – zumindest in der Außenwirkung – große Ruhe aus. Das Konzert begann pünktlich. Es kam kein Gefühl von Zeitdruck auf. Und das Programm war so schlank, dass das bis zum Ende auch so blieb.
  • Der Cello-Lehrer gab seiner Gruppe vor jedem Stück die Zeit, die „Töne auf dem Griffbrett zu suchen“ und anzuspielen – in aller Ruhe. Das ist unüblich, aber sehr hilfreich. Denn wenn der erste Ton schon nicht stimmt, wird es im Laufe des Stückes nur immer schlimmer. Das Beste war aber, dass der Mann in der Reihe hinter mir schon nach diesen Einspieltönen sagte: „Hach, das klingt einfach so schön.“. Dann erst begann das Stück.

Warum widme ich diesen Kleinigkeiten so viel Raum und Gedanken?

Wenn Streicher irgendetwas gar nicht brauchen können, dann ist das Stress.“ 

Regine Brunke

Die Selbstbegegnung auf der Bühne, das „Sich-Ausliefern“ an den gegenwärtigen Moment – und das unter Zeugen – ist in sich eine Spannung, ein Stress – im positiven Sinne. Er gibt uns die Aufmerksamkeit und Wachheit, die wir in diesem Moment auch brauchen. Und vielleicht suchen wir auch deshalb diese Selbstbegegnung immer wieder bewusst auf…

Je unterstützender das Umfeld ist, in dem diese Begegnung geschieht, umso stärkender kann die Erfahrung werden.

In meiner Arbeit – und auch in meinem persönlichen Leben – geht es immer um diese Frage: „Was braucht es für eine gute Erfahrung? Was braucht es nicht? Und wie können wir das, was schon da ist als Unterstützung nutzen?

Unterstützung reduziert Stress. Unterstützung können wir immer brauchen. Immer.

Manchmal fliegt uns Unterstützung einfach zu: in Gestalt achtsamer, kompetenter Lehrer*innen, verständiger Eltern und respektvoller Kolleg*innen. Manchmal müssen wir darum bitten oder sie regelrecht anfordern: einen nicht wackelnden Stuhl, die Zeit zum Stimmen oder jemand, der uns zum Konzert fährt. Und manchmal müssen wir lernen, die Unterstützung zu erkennen und bewusst zu nutzen, die sowie so immer da ist: die Stützkraft der Erde, die Stabilität unserer Knochen, die Verbundenheit mit lieben Menschen.

Hier ein paar Ideen, wie du dir ganz konkret Unterstützung organisieren – aber auch Unterstützung für andere sein kannst:

  1. Du bereitest dich gerade auf Prüfungen oder Vorspiele vor?
    Gib dir während der Vorbereitung die Zeit, dir in deinem Kopfkino die „ideale Prüfung“ zu drehen. Was taucht in diesem Tagtraum auf? Was erlebst du als unterstützend?
  2. Dein schlimmster Stressfaktor sind deine Pultnachbarn oder der/die Dirigent*in?
    Das ist der Härtefall und es gibt keine 08/15 Antwort. Für mich ist zur Richtschnur geworden:

    Was ich mir von anderen wünsche, gebe ich mir zu allererst selbst.“

    Danke an Bärbel Lonczyk für diesen weisen Rat.

  3. Du bist aufgeregt und hast auch etwas Angst?
    Umgib dich bewusst mit den Menschen, die du als unterstützend empfindest und meide die anderen. Das ist nicht unhöflich sondern vernünftig. Kritiker*innen und blöde Ratschläge braucht vor, während und direkt nach einem Konzert wirklich niemand. Jemand ist der Meinung, du quietscht und äußert das auch? NICHT einladen! Zum Umtrunk danach: Herzlich willkommen!
  4. Du hast ein musizierendes Kind und willst es unterstützen?
    Das Zauberwort heißt „Zeit“.Ich weiß, ich hab´ leicht reden: Aber kann – wenn dein Kind an einem musikalischen Ereignis teilnimmt – Ruhe und Zeit Vorrang haben? Zeit, alles zusammen zu packen und rechtzeitig am Ort des Geschehens zu sein. Zeit, vorher noch was zu essen und ohne Stress aufs Klo zu gehen. Zeit, nach dem Konzert in Ruhe einzupacken – das wird noch länger dauern, als davor! Vielleicht verpasst du deine Lieblingssendung oder die Nachrichten – aber du bekommst kostbare „high quality – time“ mit deinen Lieben geschenkt! Und vor allem, Zeit und Raum die ganze Geschichte das Abenteuers zu hören. Dein Kind ist inneren Ängsten begegnet und hat sich ihnen tapfer gestellt. Da hat man was zu erzählen! Feiert zusammen die geglückte Heimkehr des / der Held*in, egal welche Federn er oder sie bei dem Ritt lassen musste!

Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Schulkonzerte, Klassenvorspiele, Prüfungen und Orchestervorspiele hinterlassen bleibende Spuren. Du kannst als Lehrer*in, Elternteil, Kolleg*in oder einfach als erwachsener Mensch für dich selbst mitgestalten, wie diese Spuren aussehen.

Möchtest du deine Gestaltungsspielräume erweitern? Unten rechts ist ein graues Feld „Follow“ mit gelbem Stern. Trag dich ein und verpasse keine Tipps mehr!

1 Comment

  1. Als einer der angesprochenen Lehrer in diesem Blog (Gitarre) kommen mir viele Gedanken: „Ruhe ausstrahlen – zumindest in der Außenwirkung“? Ich weiß nicht, ob ich Ruhe ausstrahlen kann, wenn ich es nicht auch bin. Die Körpersprache lässt sich nicht verbergen. Die Ruhe kommt von allein, wenn es losgeht. Es geht dann seinen Lauf; jetzt passiert, was passiert, da ist kein Platz für Ängste und Unruhe. Die ist meistens vorher: Habe ich alle Sachen eingepackt, die ich brauche? Wo ist mein schwarzer Pullover??? Warum ist die Stimmgabel nicht da, wo sie hingehört? Kommt der Schüler XY wenigstens diesmal pünktlich? Sagt noch jemand ab und was tu ich dann? Hier ist viel Raum für Ängste und Sorgen, weil man noch nicht weiß, was kommt. Nichtwissen macht Angst. Wenn man weiß, wie es läuft, kann man sich darauf einstellen.

    Nach einem Konzert schaue ich oft in die Gesichter und Augen der Zuhörer und versuche herauszufinden, wie das Konzert gefallen hat. Wenn ein Strahlen zu sehen ist, wo vorher etwas Abwartendes und Prüfendes war, dann hat das Konzert einen verändert.

    Ich bekomme auch Zustimmung und positive Resonanz nach Schülerkonzerte, aber dass ein Konzert einen so großen Gedankengang freisetzt wie hier – das ist schon was besonderes. Vielen Dank für diesen Blog!

Schreibe einen Kommentar