Ich glaube, dass sich die deutsche Gesellschaft teilen läßt in die, die beim Völkerball Spaß hatten und die, für die es eine sich wiederholende, schlimme Erfahrung war.
Beim Deutschen Turnerbund heißt es: „Ein geeignetes Spiel, um über die Spielfreude hinaus das Fangen des Balles in allen Situationen zu üben und reaktionsschnell Treffer zu erzielen.“
Soso.
Was ich gelernt habe:
1.) Versuche nur zu Fangen, wenn du dir absolut sicher bist, dass es klappt!
2.) Versuche nur zu Werfen, wenn du dir absolut sicher bist, dass der andere NICHT fangen kann.
3.) Wenn deine Qualität das „geschickte Ausweichen“ ist (denn: entscheidest du dich für 1 oder 2 – und es gelingt nicht – wird deine Mannschaft die Augen verdrehen und dich beschimpfen, während die gegnerische Mannschaft höhnisch triumphiert), wirst du am Ende von allen Seiten gejagt.
4.) Wenn du als letzte gewählt wirst, lass dich als erste abtreffen. Das ist „sozial kompatibel“ – denn so verdirbst du den anderen wenigstens nicht den Spaß.
Was ich gerne gelernt hätte:
1.) Wie geht eigentlich „Werfen“?
2.) Wie geht eigentlich „Fangen“?
3.) Wie kann ich einen Ball über das ganze Spielfeld hinweg werfen?
4.) Was kann ich eigentlich tun, um NICHT als letzte gewählt zu werden? (mich „anstrengen“ hat übrigens nie funktioniert…)
Wikipedia sagt: „Gefragt sind Gewandtheit, Treff- und Fangsicherheit, Ausdauer und Geschwindigkeit.“
Aber: WIE LERNT man das?
und: „Der symbolische kriegerische Hintergrund ist den Akteuren heute in der Regel nicht mehr bewusst.“
Ich widerspreche: Der kriegerische Hintergrund war mir in jeder Sekunde unmittelbar einsichtig.
Nun finde ich in der „Berliner Morgenpost“ zum Weltspieltag 2010 einen Artikel und werde ganz aufmerksam: Titel: „Völkerball und Gummitwist – Spiele fürs Leben“
Die Expertin, die Berliner Pädagogin Dr. Heidemarie Arnhold, Vorstandsvorsitzende des Arbeitskreises Neue Erziehung (ANE) sagt – laut Berliner Morgenpost, beim Völkerball könne man Unangenehmes lernen, z.B. Enttäuschung oder das Versagen (Beispiele: nicht als erst gewählt werden, keine gute sportliche Leistung erbringen). Frau Dr. Arnold meint demnach, diese Erfahrungen bräuchten wir im Leben, damit wir als Erwachsene damit klar kämen.
Ich weiß nicht, wie heute mit Völkerball umgegangen wird. Meine Internetrecherchen stimmen mich skeptisch, aber ich halte es für möglich, dass die heutige Grundschulpädagogik einen neuen Umgang damit gefunden hat.
Ich hätte Völkerball nicht gebraucht, um „Versagen“ zu lernen. Ich hätte Lehrer/-innen gebraucht, die mir zeigen, wie ich damit umgehen kann, wie ich mich verbessern kann. Kurz: Die Menschheit braucht Völkerball nicht, um „Unangenehmes zu lernen“ – davon gibt es wirklich schon genug.
In meiner ersten Alexander-Technik-Ausbildungswoche habe ich zum ersten Mal – JEMALS – im Alter von 31 Jahren – entspannt Bälle gefangen. Möglich war das erst, nachdem die Ausbilderin mit uns geübt hatte, auf heranfliegende Bälle keinen Schreckreflex mehr zu zeigen. Erst dann war die freie Entscheidung möglich, entweder den Ball zu fangen – wenn er passend kommt -, oder ihn einfach zu ignorieren, wenn er „blöd“ kommt.
Wenn ich in einer meiner Stunden die Bälle hervorhole, ist es wahrscheinlich, dass die Kundin am liebsten verschreckt flüchten möchte. Wenn dieselbe Kundin am Ende der Stunde gleichermaßen verwirrt und glücklich weiß, dass auch sie fangen „kann“, weiß ich, warum ich mich für diese Arbeit entschieden habe. Und ich weiß, welchen Mut diese Frau gerade gezeigt hat.
P.S.: Wer sowas kann (hier klicken: link ), ist natürlich fein raus!!!